Im Jahr 2002 erschien in der Zeitschrift Information Research ein Artikel von Professor Wilson mit dem Titel „The nonsense of knowledge management“. Darin geht er mit Wissensmanagement hart ins Gericht. Ich steckte damals in den letzten Zügen meiner Dissertation zum Thema Wissensmanagement in der Produktentwicklung und war fest entschlossen, mich durch kritische Stimmen nicht auf den letzten Metern aus der Bahn werfen zu lassen. Daher habe ich den Artikel lange Zeit ignoriert.
Professor Wilson hält Wissensmanagement für einen von Beratern kreierten „management fad“, der sich im Wesentlichen aus den beiden Punkten Informationsmanagement und dem effizienten Management von Arbeitspraktiken zusammensetze. Bei den beiden Punkten kritisiert er Folgendes:
Insgesamt fördere Wissensmanagement laut Wilson die Illusion „’mind’ becomes ‘manageable’, the content of mind can be captured or down-loaded and the accountant´s dream of people-free production, distribution and sales is realized – ‘knowledge’ is now in the database, recoverable at any time.”
Professor Wilson spitzt das ganze Thema natürlich zu. Mittlerweile habe ich jedoch aus eigener leidvoller Erfahrung erkannt, dass tatsächlich beim Thema Wissensmanagement einiges im Argen liegt. Dazu drei Beispiele aus meiner Tätigkeit:
Ich habe aufgrund dieser Erfahrungen mittlerweile den Verdacht, dass wir statt Wissensmanagement etwas betreiben, das ich Cargo-Kult-Wissensmanagement nennen möchte. Über den Cargo-Kult schreibt Richard Feynman in seinen Lebenserinnerungen „Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman!“: „In der Südsee gibt es bei bestimmten Völkern einen Cargo-Kult. Während des Krieges sahen sie, wie Flugzeuge mit vielen brauchbaren Gütern landeten, und nun möchten sie, dass das wieder geschieht. So sind sie übereingekommen, Landebahnen anzulegen, seitlich der Landebahnen Leuchtfeuer anzuzünden, eine Hütte aus Holz zu bauen, in der jemand mit einem hölzernen Apparat sitzt, der wie ein Kopfhörer aussieht und in dem Bambusstöcke als Antennen stecken – das ist der Fluglotse -, und sie warten darauf, dass die Flugzeuge landen. Sie machen das jede Nacht. Die Form ist perfekt. Es sieht genauso aus, wie es früher aussah. Aber es funktioniert nicht. Es landen keine Flugzeuge.“
Ähnlich ist es beim Wissensmanagement, wie es bisher oft betrieben wurde: Wir basteln uns teure IT-Systeme und nennen Wissenssystem. Wir betreiben Communities of Practice und setzen auf die Zwanglosigkeit der Teilnahme in einem Umfeld von Zwang. Die Form ist perfekt. Wir verwenden alle Rezepte und Formen des Wissensmanagement. Aber es funktioniert nicht. Es landet kein Wissen.
Mir geht es also darum, dass bei der grundlegenden Ausrichtung des Wissensmanagements etwas nicht stimmt. Es geht mir nicht darum, die „Wissenssysteme“ zu verbessern oder weitere utopische Organisationsansätze zu entwickeln. Das wäre so, als würde man den „Fluglotsen“ in der Südsee einen besseren Kopfhörer verkaufen. Meines Erachtens haben wir ein grundlegendes Problem. Wir sind sozusagen in die falsche Richtung marschiert und müssen nun zunächst zum Ausgangspunkt zurück.
Ich plädiere daher, dass wir uns zurückbesinnen auf die Fragen, die direkt mit dem Kern der Sache zusammenhängen – dem Wissen -, von dem wir uns im Rahmen der meisten Diskussionen zu weit entfernt haben. Und mit den Menschen, in deren Köpfen das Wissen entsteht. Deshalb sind für mich zwei Fragestellungen wichtig, die meines Erachtens immer noch nicht befriedigend gelöst sind:
Da ich mich an anderen Stellen bereits über beide Themen ausgelassen habe, möchte hier nur auf meinen Artikel „Das Wissens-Spielfeld im Unternehmen gestalten“ in der Zeitschrift LO – Lernende Organisation (Ausgabe 34) und auf meinen Blogbeitrag „Gefährliches Halbwissen“ verweisen. Dies sind natürlich nur erste Ansätze. Weitere Diskussionen müssten folgen…
P.S.: Die Idee zum Titel dieses Beitrags kam mir bei der Lektüre des oben erwähnten Buches von Richard Feynman, der in dem Kapitel „Cargo-Kult-Wissenschaft“ pseudowissenschaftliche Vorgehensweisen kritisiert.
Kommentar schreiben
Erich Feldmeier (Donnerstag, 21 Oktober 2010 11:51)
Zum Punkt 2: Wie kann man Wissen teilen?
immer wieder und immer noch wird die historische, evolutionäre und organisations-psychologische Komponente, also bessr: der interdisziplinäre Ansatz, übersehen:
http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/Scharfrichter_wikipedia_org
http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/HeldDerArbeit_ddrtechnik_de
'Spiel-Theoretisch' lautet die beste / optimale Verhaltens-Strategie ganz zweifelsfrei:
Zusammenarbeit verweigern !!! vgl. R.D.Precht: Über die Kunst kein Egoist zu sein
I. & I. Welpe: Netzwerken für Egoisten
E.Feldmeier: Sonntags Reden, montags Meeting
Carsten Deckert (Samstag, 23 Oktober 2010 13:02)
Lieber Herr Feldmeier,
in dem Buch „Knowledge Unplugged“ von Jürgen Kluge et al. wird das Gefangenendilemma aus der Spieltheorie auf das Wissensmanagement übertragen (Infos zum Gefangendilemma: http://de.wikipedia.org/wiki/Gefangenendilemma).
Die Mitspieler sind in diesem Fall die Mitarbeiter des Unternehmens, nicht Gefangene – wobei das in manchen Firmen vielleicht das gleiche ist. Statt „schweigen“ setze man „Wissen teilen“ und statt „gestehen“ „Wissen horten“.
Nun ist es für das Unternehmen sicherlich das Beste, wenn beide Mitarbeiter ihr Wissen teilen. Wenn aber ein Mitarbeiter sein Wissen teilt, der andere aber sein Wissen hortet, dann ist der erste Mitarbeiter der Depp und der zweite hat einen Vorteil, ohne sein Wissen preiszugeben. Daher ist es für beide Mitarbeiter erst einmal sicherer, ihr Wissen zu horten, wodurch dann eine Negativspirale entsteht.
Das Funktionieren des Gefangenendilemmas ist aber an gewissen Bedingungen geknüpft: Zum einen wird das Spiel nur einmal gespielt – oder zumindest nicht oft. Zum anderen dürfen die Gefangenen nicht miteinander kommunizieren.
Daraus ergeben sich dann auch die Möglichkeiten, die Negativspirale des Hortens von Wissen zu durchbrechen bzw. gar nicht erst in Gang kommen zu lassen: Den Mitarbeitern muss klar sein, dass sie mehrmals miteinander arbeiten werden, sodass sie einen Anreiz zum Teilen ihres Wissens zu haben, um „tit for tat“ auszuschließen. Und die Mitarbeiter müssen oft miteinander reden – am besten von Angesicht zu Angesicht, um Vertrauen aufzubauen.
Beste Grüße
Carsten Deckert