Innovation Watch - Anleitung zum Unkreativsein

Kreativität ist wieder in aller Munde. Angeblich entwickeln wir uns alle zu einer Kreativgesellschaft, in der der schnöde Mammon der menschlichen Schöpfungskraft unterlegen ist (Motto: „Kopf schlägt Kapital“). Selbst Wissen und Expertentum sind vermeintlich nur noch gefragt, wenn sie mit Kreativität gekoppelt sind. Doch leider sieht der Unternehmensalltag oftmals anders aus. In manchen Firmen und Branchen scheint – trotz aller gegenteiliger Bekundungen – eher Unkreativsein gefragt zu sein (siehe meinen Blog-Beitrag "Störfaktor Kreativität"). Daher kann es durchaus von Vorteil sein, den eigenen Archimedes oder den seiner Mitarbeiter und Kollegen im Zaum zu halten. Nun will ich niemanden vom Baden abhalten. Aber in meiner Tätigkeit als Berater habe ich eine Reihe von wirksamen Methoden kennengelernt, die sich in der Praxis immer wieder bewährt haben. Hier kommen also meine persönlichen Top Five-Methoden zum Unkreativsein aus meinem Buch "Anleitung zum Uninnovativsein":

Methode „Sei kreativ-Paradoxie“

Paradoxien lassen sich gezielt zum Unkreativsein einsetzen, nämlich sogenannte „Sei spontan“-Paradoxien. Eine „Sei spontan“-Paradoxie geht zurück auf den österreichischen Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick, der sie in seinem Buch „Menschliche Kommunikation“ als eine „Aufforderung zu bestimmtem Verhalten, das seiner Natur nach nur spontan sein kann“ definiert. „Diese Art von Aufforderung versetzt den Empfänger in eine unhaltbare Situation, da er, um ihr nachzukommen, spontan in einem Kontext von Gehorsam, von Befolgung, also von Nichtspontaneität sein müsste.“ In unserem Fall ist die Aufforderung denkbar einfach. Sagen Sie zu Ihren Mitarbeitern lediglich: “Nun seien Sie doch mal kreativ.” Sie werden sehen, wie der Schuss nach hinten losgeht und alle plötzlich in dem verkrampften Bemühen, kreativ zu sein, absolut unkreativ werden.

 

Methode „Killer-Controlling“

Führen Sie bei allen kreativen Vorhaben ein striktes Controlling durch, das keine auch nur irgendwie geartete Abweichung zulässt. Leben Sie Ihren Kontrollzwang in vollsten Zügen aus. Verlangen Sie z. B. tägliche Statusreports über den Fortschritt der Vorhaben. Auf diese Weise lassen sich kreative Ideen schon im Keim ersticken.

 

Methode „Pseudo-Brainstorming“

Eine besonders perfide Methode zum Unkreativsein ist das „Pseudo-Brainstorming“. Dazu ein Beispiel aus dem wahren Leben: Bei einem Unternehmen der Elektroindustrie wurde von einem Berater ein Workshop über Kreativitätstechniken durchgeführt. Ein Teil des Workshops war die Durchführung einer Brainstorming-Sitzung für den Motor einer neuen Waschmaschine. Zunächst erklärte der Berater den Mitarbeitern die Regeln der Brainstorming-Methode. Vor allem betonte er die Regel, dass keine Kritik während der Phase der Ideengenerierung geäußert werden darf, egal wie abwegig die geäußerten Ideen auch seien. Die Mitarbeiter erklärten sich mit allen Regeln einverstanden. Sie wurden sogar ein wenig ungeduldig, da ihnen die Regeln für das Brainstorming alle schon längst geläufig waren. Nach dem Start der Brainstorming-Sitzung kamen zunächst nur die „üblichen Verdächtigen“ an Ideen: Gleichstrommotor, Wechselstrommotor usw. Um die Mitarbeiter ein wenig anzuregen warf der Berater „Verbrennungsmotor“ in die Runde. Sofort brach ein Schwall an Kritik und Beschimpfungen über ihn herein: „Das ist doch absurd.“ und „So etwas können wir nicht aufschreiben. Da machen wir uns doch vor der Geschäftsführung lächerlich.“ Damit wurde sein Beitrag gestrichen, und der Rest der Brainstorming-Sitzung verlief recht harmonisch.

 

Methode „Meiner Erfahrung nach...“

Argumentieren Sie stets aus Ihrer Erfahrung heraus, um kreative Lösungen auszubremsen: „Meiner Erfahrung nach kann das nicht funktionieren.“ Die Methode eignet sich besonders für ältere Semester, denen man es anhand grauer Schläfen oder dem gänzlichen Fehlen jeglichen Haupthaares ansieht, dass sie viele Jahre und damit vermeintlich viele Erfahrungen auf dem Buckel haben. Es macht auch überhaupt nichts aus, wenn diese Erfahrung Dinge betrifft, die noch gar nicht so lange existieren, dass Ihr Alter von besonderer Bedeutung wäre, wie beispielsweise das Internet. Das psychologisch raffinierte an dieser Methode ist nämlich, dass Sie sämtliche Sachfragen mit Ihrer Person verbinden. Keiner kann Ihre Erfahrungen in Frage stellen, ohne gleichzeitig Ihre ganze Person in Frage zu stellen. Damit steht jemand, der anderer Meinung ist, als Fiesling da und kann argumentativ gegen Sie nicht gewinnen.

 

Methode „Witzigkeit kennt kein Pardon“

Wenn all dies nichts bringt, dann müssen Sie schwereres Geschütz auffahren. Dann hilft nur noch eines: Lächerlich machen. Folgende Formulierungen seien Ihnen eine erste Hilfe: “Da ist ja unser kleiner Leonardo da Vinci / Einstein / Archimedes.” Oder „Oh, unser Herr Müller hat wieder einen seiner Geistesblitze.“ Halten Sie es mit dem Philosophen Henri Bergson: „Beim Lachen stoßen wir immer auf die uneingestandene Absicht, unseren Nächsten zu demütigen und dadurch zu bessern.“ Sie werden merken, wie schnell sich dadurch eine „Besserung“ bei Ihren Mitarbeitern und Kollegen einstellt.

 

Die Methoden zum Unkreativsein haben durchaus ihre Berechtigung. Denn wie gefährlich Kreativität sein kann, zeigt uns das Beispiel des besagten Archimedes. Gemäß den Aufzeichnungen des Geschichtsschreibers Plutarch konzentrierte sich Archimedes während der römischen Belagerung von Syrakus auf ein Problem – eine komplizierte Berechnung mit Hilfe eines Diagramms. So bemerkte er nicht, dass die Römer die Verteidigungslinien bereits durchbrochen und die Stadt eingenommen hatten. Als ein römischer Soldat ihm befahl mitzukommen, herrschte er ihn an: „Störe meine Kreise nicht!“ Daraufhin erschlug ihn der Soldat wutentbrannt mit seinem Schwert. Somit führte die überschäumende Kreativität des Archimedes – verbunden mit einer zugegebenermaßen nicht ganz diplomatischen Antwort – direkt zu seinem Ableben. Der französische Schriftsteller und Maler Francis Picabia soll einst gesagt haben: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“ Wenn wir diesen Ausspruch mit den Kreisen des Archimedes verknüpfen, erhalten wir das Grundgesetz zum Unkreativsein, auch „Anti-Picabia“ genannt:

 

Der Kopf ist rund, damit das Denken sich im Kreise drehen kann.

 

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