Innovation Watch - Covern, Remixen, Sampeln

Mit Imitation zur Innovation

 

Imitation hat in unserer ingenieurlastigen, innovationsgetriebenen Gesellschaft einen schlechten Ruf. Anders als in Asien – insbesondere China – glauben wir, dass wir möglichst alles selbst erfinden müssen und dass wir nur mit völlig neuen Ideen im Geschäftsleben Erfolg haben können. Doch dies könnte sich als Trugschluss erweisen. Denn viele Innovationen erhalten im Kern eine Imitation. Der iPod von Apple ist im Grunde ein MP3-Player. Ryanair in Europa beruht auf einem ähnlichen Geschäftsmodell wie Southwest Airlines in den USA. Und McCafé sieht verdächtig nach Starbucks aus. So behauptet dann auch der Harvard-Professor Oded Shenkar, dass sich Imitation und Innovation nicht unbedingt ausschließen. In seinem Buch „Copycats“ beschreibt er, wie Unternehmen über Imitation zur Innovation kommen. Er nennt solche Firmen, die eine intelligente Form der Imitation betreiben, Imovatoren.

 

Ich möchte an dieser Stelle das Beispiel Musik heranziehen, um die Potenziale der Imovation – also der intelligenten Imitation – zu beschreiben. Bisher wurde in der Managementliteratur eher das Beispiel des Jazz bemüht, um am Zusammenspiel verschiedener Musiker beim Improvisieren organisatorische Sachverhalte zu beleuchten. Ich möchte dagegen das Verhältnis von Imitation zu Innovation auf drei Phänomene in der Musik zurückführen, die nahezu stilübergreifend zu finden sind:

 

Coverversionen, Remixe und Samples.

 

Coverversion

Eine Coverversion ist die Neueinspielung eines Songs durch einen anderen Musiker als den, der den Song zuerst aufgenommen hat. Eine Coverversion ist besonders kreativ, wenn das Original in eine andere Stilrichtung übertragen wird. Beispiele sind die Reggae-Version der Rock´n´Roll-Klassikers „Johnny Be Goode“ von Peter Tosh, die Rock-Version des Reggae-Klassikers „I Shot the Sheriff“ von Eric Clapton oder die Country-Version des Soul-Klassikers „Ain´t No Sunshine“ von Crystal Gayle.

 

Remix

Ein Remix ist eine neue Abmischung eines Songs. Dabei werden die Tonspuren des Original-Songs verwendet, die teilweise um neue Spuren (z.B. Instrumente, Gesang) ergänzt werden. Ein Remix ist dann besonders kreativ, wenn die „Handschrift“ des Remixers deutlich erkennbar ist und dadurch ein eigenständiger Song entsteht. Beispiele sind die Remixe der französischen Elektroband Justice, z.B. der Justice-Remix zu „Electric Feel“ von MGMT. Teilweise werden bei Remixen auch Samples verwendet, z.B. beim bekannten Cold Cut-Remix zum Song „Paid in Full“ von Eric B. & Rakim. Oder es werden Songs aus unterschiedlichen Musikrichtungen zu sogenannten Mash-ups zusammengemischt. So existiert im Internet eine Reihe von Mixtapes, auf denen z.B. Raps von Eminem auf den Songs von Christina Aguilera, Michael Jackson oder Elton John zu hören sind. DJ Danger Mouse erlangte zu einiger Berühmtheit, indem er die Raps aus dem „Black Album“ von Jay-Z mit den Songs aus dem „White Album“ der Beatles kombinierte. Der Titel des neuen Albums: „The Grey Album“.

 

Samples

Samples sind kurze Stücke eines Songs (meist nur ein bis zwei Takte lang), die digitalisiert werden, um in anderen Songs wiederverwendet zu werden. Die Sampling-Technologie wurde vorwiegend in der Musikrichtung Hip-Hop eingesetzt, die vom Sprechgesang (Rap) lebt. Dort wiederholten zunächst DJs an zwei Plattenspielern mit der derselben Platte einen besonders gelungenen Break eines Songs durch Zurückdrehen der Platte immer und immer wieder. Diese Methode diente dazu, bei einer Party die Tänzer möglichst lange auf der Tanzfläche zu halten oder einen „neuen“ Beat für einen Rapper zu schaffen. Die aufkommende Digitalisierung ersetzte nach und nach diese komplizierte Technik. So konnten Samples schließlich im Studio in einer Endlosschleife (Loop) abgespielt oder über Sequenzer-Programme gezielt in einzelne Takte eines neuen Songs eingefügt werden.

 

Sampling ist besonders kreativ, wenn Elemente aus verschiedenen Songs kombiniert und ggf. um weitere Elemente (z.B. Instrumente, Gesang) werden, sodass ein eigenständiger neuer Song entsteht. Beispiele für besonders gelungene Sampling-Kunst sind die frühen Alben von Public Enemy, De La Soul oder Pete Rock & C.L. Smooth, um nur einige wenige zu nennen. Die Produzenten von Public Enemy sagten in einem Interview:

 

„We make records that consist of nothing but records.”

 

Sampling führte in der Musikindustrie natürlich auch zu rechtlichen Problemen. So nannte in Anspielung darauf der Rapper Biz Markie eines seiner Alben „All Samples Cleared“ (Alle Samples bezahlt). Die Hip-Hop-Gruppe Digital Underground verband als eine der ersten Gruppen Samples mit Instrumenten und Rap mit Gesang. Die Gruppe Full Force verwendete als eine der ersten Gruppen Samples bei R&B-Stücken und ebnete damit den Weg für den Einsatz von Samples bei Gesangsstücken.

 

Der am meisten gesampelte Musiker und damit stilprägend für den Hip-Hop ist sicherlich James Brown, der selbsternannte „Hardest Working Man in Showbiz“. Sein Stück „Funky Drummer“ beispielswiese wurde in unzähligen Hip-Hop-Songs als Beat verwendet. Aber auch andere Musiker und Bands tauchen häufig in Hip-Hop-Songs auf. Oft gesampelt wurden z.B. der Smooth-Jazzer Bob James, dessen Beat aus „Take Me to the Mardi Gras“ z.B. in „Peter Piper“ von Run-DMC wiederverwendet wurde, oder die schottische Average White Band, deren Mitglieder der Legende nach von Marvin Gaye aufgrund ihres Sounds zunächst für Afroamerikaner gehalten wurden. Aber auch einige Songs wurden unzählige Male gesampelt und prägten Stilrichtungen wie Hip-Hop, House oder Jungle. Prominente Beispiele sind „Apache“ von The Incredible Bongo Band oder „Amen, Brother“ von The Winstons, dessen vier Takte Schlagzeug-Solo in der Songmitte neben „Funky Drummer“ wohl eines der meistverwendeten Beat-Samples ist.

 

Was bedeutet dies nun für die Imovation – also die intelligente Imitation, die zur Innovation führt?

 

Covern

Eine Möglichkeit für eine intelligente Imitation ist es, ein Geschäftsmodell in einem neuen Umfeld einzuführen. Dadurch kann man in diesem neuen Markt als Pionier auftreten, hat aber trotzdem ein erprobtes Geschäftsmodell und damit eine erhöhte Erfolgswahrscheinlichkeit. Oded Shenkar nennt solche Imovatoren “Importers”. Beispiel ist der Billig-Flieger Ryanair, der das Geschäftsmodell von Southwest Airlines von den USA nach Europa “importiert” bzw. „gecovert“ hat. Diese Form der Imovation ähnelt der Coverversion, die dann besonders kreativ ist, wenn sie einen Song in eine neue Stilrichtung „importiert“.

 

Remixen

Eine weitere Möglichkeit für intelligente Imitation ist es, Schlüsselelemente eines Geschäftsmodells zu kopieren und mit neuen Elementen zu kombinieren, sodass ein verbesserter Kundennutzen entsteht. Dies bedingt allerdings ein hohes Abstraktionsvermögen. Denn man muss das Geschäftsmodell oder die dahinter stehende Erfindung grundlegend verstanden haben, um den zugrunde liegenden Nutzen zu optimieren. Beispiel ist die Übernahme des Geschäftsprinzips US-amerikanischer Supermärkte in die Automobilindustrie durch Toyota, wo es sich mittlerweile als Kanban-Konzept durchgesetzt hat. Ein weiteres Beispiel liefert Apple, die ihren iPod mit der Musikplattform iTunes kombiniert hat. Diese Form der Imovation ist wie ein Remix, bei der bestehende Produkte oder Dienstleitungen mit eigenen Elementen kombiniert werden, sodass die „Handschrift“ des Remixers erkennbar ist und ein eigenständiges Geschäftsmodell mit verbessertem Kundennutzen entsteht.

 

Sampeln

Professor Günter Faltin aus Berlin argumentiert in seinem Buch „Kopf schlägt Kapital“, dass wir uns von der Vorstellung lösen sollten, als Unternehmer müssten wir zunächst etwas Neues erfinden. Er sagt stattdessen, dass man auch aus bestehenden Komponenten ein Unternehmen gründen könne, indem man das Entrepreneurial Design richtig zusammenstellt. Faltin nennt solche Gründungen „Konzept-kreativ“, weil sie auf einem intelligenten Geschäftsmodell beruhen, das bereits existierende Dienstleistungen und Produkte für den Kunden optimal kombiniert, und nicht auf einem Patent oder einer neuen Technologie. Beispiel ist die von ihm selbst gegründete "Teekampagne", die sich auf den Import einer einzigen Teesorte (Darjeeling) beschränkt und dadurch ein hohes Preis-Leistungs-Verhältnis erreicht. Ähnlich arbeiten Hip-Hop-Künstler, wenn sie aus Samples von bereits existieren Songs ein neues Musikstück zusammenstellen. Unternehmen, die auf einem Konzept-kreativen Geschäftsmodell beruhen, könnten von sich sagen: „We make businesses that consist of nothing but businesses.“

 

Fazit

Covern, Remixen und Sampling sind keine Erfolgsgaranten – weder in der Musikindustrie noch in einer anderen Branche. Aber sie erhöhen die Anzahl der Möglichkeiten, die ansonsten auf das klassische Komponieren beschränkt blieben. Imitation fördert, wenn sie intelligent durchgeführt wird, die Innovation und wird so zur Imovation.

 

Zu beachten ist allerdings, gerade im Zuge der jüngsten Diskussionen in den Medien, dass keine Plagiate entstehen oder sich Patentverletzungen ergeben und dass Lizenzgebühren entrichtet werden, wo sie fällig werden. Patent- und Urheberrechte sind selbstverständlich zu respektieren. Oder um es mit Biz Markie zu sagen: „All Samples Cleared“.

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Kommentare: 1
  • #1

    Alexander Bruntz (Donnerstag, 07 April 2011 13:25)

    Hallo Herr Dr. Deckert,

    habe gerade genüsslich Ihren Blog gelesen. Als Musiker und Innovationsberater fand ich diesen sehr treffend!

    Viele Grüße aus Sindelfingen
    Alexander Bruntz