Knowledge Watch - Laurasprech

Laura in Aktion
Laura in Aktion

„Deutsche Sprache, schweres Sprache" heißt es gerne. Bereits der amerikanische Schriftsteller Mark Twain beklagte sich in seiner Satire „Die schreckliche deutsche Sprache" darüber, wie schwierig es sei, Deutsch zulernen. Insbesondere über die vielen Sonderregeln, die verwirrende Verwendung der Artikel ("der, die, das" anstatt "the") und die zusammengesetzten Wörter („Generalstaatsverordnetenversammlungen") machte er sich lustig. Schließlich kam er zu folgendem Fazit: Ein begabter Mensch kann Englisch in 30 Stunden, Französisch in 30 Tagen und Deutsch in 30 Jahren lernen.

 

Von daher ist es unheimlich interessant, wenn man das Erlernen der deutschen Sprache bei einem Kind mitbekommt. Ich konnte dies in den letzten vier Jahren bei meiner Tochter Laura beobachten. Dabei konnte ich bei Laura folgende Eigenarten feststellen

 

  • Wortverkürzungen und -vereinfachungen
    Da beim Kind nicht nur die Sprache, sondern auch die komplette Lautgenerierung erlernt werden muss, verwendete Laura oft Wortverkürzungen bzw. -vereinfachungen, meist die letzten Silben des Worts, z.B. „Nane" (Banane), „Lat" (Salat) oder „Mate"(Tomate). Aber auch Wortzusammenziehungen wurden von ihr verwendet. So war unser Wohnzimmer lange Zeit das „Wonzer", „Hinzen" bedeutete Hinsetzen und „Anzen" Anziehen. Schwierig wurde die Verständigung immer dann, wenn Wortvereinfachungen ähnlich waren (z.B. „Dude" für Gurke und „Dode" für Jogurt) oder eigentlich eine andere Bedeutung hatten (z.B. „Hosen" für Honig). Sie können sich die Diskussion beim Abendbrot vorstellen.
  • Buchstabenverdreher / Wortverdreher
    Laura unterliefen bei einigen Wörtern Buchstabenverdreher, z.B. „Schlaffel" (Flasche) oder „Schleif" (Fleisch). Ihr Lieblingsgericht war demnach lange Zeit „Nudeln mit Schleif und Soße". Besonders interessant war der Werdegang des Wortes Olive – Laura isst unheimlich gerne Oliven -, das sich von „Ovide" über „Ovile" und „Olivile" schließlich zu seiner richtigen Aussprache entwickelte. Als Laura anfing, ganze Sätze zu sprechen, kamen dann in einigen seltenen Fällen noch Wortverdreher hinzu, z.B. „Der sieht wie aus..." statt „Der sieht aus wie...".
  • Sprachliche Kreativität
    Um ihr Ansinnen verständlich zu machen, verwendete Laura oft etwas, das ich mit „sprachliche Kreativität" bezeichnen möchte. So schaffte sie es, komplizierte Sachverhalte mit einfachen Worten auszudrücken. Z.B. bedeutete „Mäh tutten" anfangs „Ich möchte gerne die DVD mit Shaun, das Schaf schauen". Einige mögen sich nun veranlasst sehen, die leidige Diskussion über die Verwendung von Babysprache loszutreten. Ich finde hingegen, dass es durchaus Sinn macht, in den Anfängen der Sprachentwicklung einfache Ausdrücke zuzulassen, um überhaupt erst einmal so etwas wie Kommunikation zu ermöglichen.
    In diesem Zusammenhang möchte ich auch die vielleicht witzigste Äußerung von Laura anbringen. Beim Betrachten einer CD von Isaac Hayes, auf der ein Foto von Hayes mit nacktem Oberkörper und riesiger Sonnenbrille abgebildet war, sagte sie: „Der aussieht! Ähnlich Wall-E." Das habe ich interpretiert als: „Isaac Hayes sieht mit seiner Sonnenbrille ein wenig aus wie Wall-E, der kleine Disney-Roboter, der die Erde aufräumt." Fragen Sie mich bitte nicht, wie Laura auf diese Assoziation gekommen ist.
  • Entstehung von Klassifizierungen
    Wort-Klassifizierungen entwickelten sich bei Laura von grob nach fein. Zunächst war jedes Obst ein „Apfel". Nach und nach bildeten sich dann weitere Unterkategorien aus, z.B. „Nane" (Banane) oder „Bürne" (Birne). Dabei ging Laura wiederum sprachlich kreativ vor. Z.B. verlangte sie nach einiger Zeit nach „anner Apfel" (anderer Apfel) und meinte damit eine Nektarine, die so ähnlich aussieht wie ein roter Apfel.

 

Ich weiß nicht, ob diese Beobachtungen allgemeingültigen Charakter besitzen oder ob sie Idiosynkrasien von Laura darstellen. Wenn mein Sohn Felix in das Sprechalter kommt, habe ich zumindest eine Vergleichsmöglichkeit. Ich bin schon gespannt, welche sprachlichen Mittel er verwendet.

 

Laura hat übrigens gerade ihren ersten Sprachtest im Kindergarten mit Bravour bestanden. Dabei hätte sie laut Mark Twain noch 26 Jahre Zeit, Deutsch zu lernen...

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