Eine Seefahrt, die ist lustig.
Hinfahrt
Stellen Sie sich folgendes vor: Sie sind Kapitän und planen eine Schifffahrt, sagen wir von Hamburg nach New York. Unter Berücksichtigung von Reisezeit und Ressourcenverbrauch rechnen Sie die optimale Route aus und bestimmen auf den Zentimeter genau den Punkt, an dem Sie in New York an der Kaimauer ankommen werden.
Nach vollendeter Planung stechen Sie in See. Sie laufen auf der optimalen Route aus dem Hafen aus. Die erste höhere Welle trifft ihr Schiff und bringt Sie soweit vom Kurs ab, dass Sie ihre ganze schöne Optimierungsrechnung über den Haufen wirft. Also setzen Sie sich auf Ihrer Brücke hin, berechnen die optimale Route unter den jetzt veränderten Bedingungen wieder auf den Zentimeter genau aus und korrigieren Ihren Kurs. Kaum sind sie fertig, trifft eine weitere Welle ihr Schiff, und das ganze Spiel beginnt von Neuem: Neue Berechnung, Kurskorrektur und ... wieder eine Welle, die Sie von Ihrer optimalen Route abbringt. Und so geht es weiter, bis Sie in New York ankommen.
Klingt verrückt!, denken Sie. Welcher Kapitän würde seine Schiffroute auf diese Art und Weise planen. Normalerweise bestimmt man eine grobe Route und steuert dann auf der Fahrt situativ nach. Umso erstaunlicher ist es, dass viele Manager heute Ihre Unternehmen so planen. Sie möchten alles ganz genau wissen und am besten für die nächsten fünf Jahre im voraus. Dabei verhalten sie sich so, als wäre die ganze Dynamik und Komplexität der Globalisierung nicht vorhanden - mit den entsprechenden verheerenden Ergebnissen.
Zugegebenermaßen sind die IT-Systeme mit ihren Möglichkeiten nicht ganz unschuldig an der Misere. Sie können immer mehr Daten verwalten und immer komplizierter Berechnungen durchführen. Dadurch gaukeln sie uns dort Genauigkeit vor, wo es eigentlich nur Ungenauigkeit geben kann.
Wir merken uns: Bei einer Durchlaufzeit von mehreren Wochen braucht die Maschinenbelegungsplanung nicht auf die Sekunde genau zu sein.
Rückfahrt
Kommen wir zurück zu unserer Geschichte: Sie sind mit Ihrem Berechnungsverfahren unzufrieden, da Sie die optimale Route, die Sie anfangs berechnet haben, nicht einhalten konnten. Nach langen Überlegungen kommen Sie zu dem Schluss, dass Ihre Berechnung einfach zu ungenau sind. Daher verwenden Sie bei der Rückfahrt von New York nach Hamburg ein exakteres Berechnungsverfahren, mit dem Sie sogar auf den Millimeter genau bestimmen können, an welcher Stelle Sie an der Kaimauer in Hamburg ankommen. Sie stechen also wieder in See und das Spiel von der Hinfahrt setzt sich fort, nur dass Sie jetzt noch häufiger Berechnungen durchführen müssen, da Sie nun schon von kleineren Wellen vom Kurs abgebracht werden.
Die erste Reaktion von Unternehmen auf Planabweichungen ist die Forderung nach noch genaueren Daten. Der Vertrieb muss die Kundenbedarfe etwas genauer vorhersagen, der Einkauf muss die Rohstoffpreise etwas genauer vorherbestimmen, die Produktion muss die Fertigungszeiten etwas genauer berechnen. Und der Planer muss schließlich das Unternehmensergebnis ein um einige weitere Nachkommastellen exakter berechnen.
Doch die Realität straft sie alle Lügen. Kundenbedarfe ändern sich mit den Marktbedingungen, Rohstoffpreise steigen und fallen wie eine Achterbahn und selbst Fertigungszeiten unterliegen gewissen Schwankungen. Und eine besserer Optimierungsalgorithmus bringt auch immer nur ein Optimum unter statischen Randbedingungen. Garbage in, garbage out.
Wir merken uns: Das Ergebnis ist immer nur so präzise, wie ihre Inputdaten es zulassen und nicht wie Ihr Berechnungsalgorithmus es Ihnen vorgaukelt.
Ankunft
Sie kommen völlig geschafft und frustriert in Hamburg an. Sie haben Ihre optimalen Ankunftspunkt um mehrere Meter verpasst. Insgeheim sind Sie froh, dass Sie überhaupt noch in Hamburg angekommen sind. Durch die häufigen Berechnungen können Sie die Abweichung noch nicht einmal nachvollziehen. Außerdem haben Sie daran auch kein Interesse mehr. Denn schuld ist natürlich das „verrückte Meer", das sich wieder einmal vollkommen unvorhersagbar und abartig benommen hat. Sie verfluchen das Meer und nehmen sich vor, für die nächste Reise noch genauer zu rechnen...
Der Teufelskreis setzt sich fort. Dabei ist die Lösung so einfach:
Lieber einmal mit Augenmaß etwas ungenauer planen und anschließend mit der guten alten Szenario-Technik verschiedene Alternativen durchspielen (z.B. steigende/sinkende Rohstoffpreise), als das ganze Unternehmen auf einen Punkt auszuoptimieren, der im ersten Monat des neuen Geschäftsjahres schon nicht mehr zu erreichen ist.
Lieber einmal die Details der dezentralen Steuerung überlassen und die Planung auf eine gesunde Präzision herunterfahren, als alles mit höchster Präzision zentralistisch vorzuplanen wie die ehemalige Sowjetunion (mit ähnlichem Erfolg).
Lieber einmal eine ehrliche Abweichungsanalyse mit allen betroffenen Abteilungen und realistischen Verbesserungsmaßnahmen, als wieder alle Widrigkeiten dem „verrückten Markt" anzuhängen und wie bisher weiterzumachen.
Wir merken uns: In der Planung gilt "Lieber ungefähr richtig als genau falsch".
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